alle Fotos: Tobias Hübel
Das Wort Resonanz, gleichzeitig Titel der Ausstellung, stammt von dem Lateinischen resonare und bedeutet widerhallen. Dieser Widerhall verweist auf die Intention der Ausstellung. In der Physik und Technik beschreibt Resonanz das Mitwirken eines schwingfähigen Systems, das von äußeren Einflüssen in Schwingung versetzt wird. Dadurch kann dieses System in noch größere Amplituden ausschlagen. Übertragen auf die Kunstwerke geschieht dies auf thematische und ästhetische Weise. Zum 200. Jubiläum des Kunstvereins in Bremen zeigt Resonanz das vielfältige künstlerische Schaffen der Bremer Szene. 16 Künstler*innen intervenieren in insgesamt 19 Räumen des Museums, um in dialogischer Weise in die Sammlungspräsentation REMIX einzuwirken. Den Künstler*innen wird dadurch ermöglicht sich mit der Institution, der Architektur, der Sammlung oder der Geschichte des Hauses zu reiben und in den Dialog zu gehen. Dabei bewegt sich die Ausstellung in einem Experimentierfeld, zeitgenössische Kunst in die ständige Sammlung verschiedener kunstgeschichtlicher Epochen zu integrieren. Die Arbeiten variieren ein spannungsvolles Netz künstlerischen Schaffens von der Malerei und Bildhauerei über Installation bis hin zu Video, Zeichnung und Fotografie. In dieser Melange an unterschiedlichen Ausdrucksformen erstreckt sich die Ausstellung über die drei Etagen der Kunsthalle Bremen
Im Erdgeschoss erwartet die Besucher*innen die 24-teilige Zeichenserie von Harald Falkenhagen mit dem Titel Schneller als ich dachte, die sich ebenfalls im Cage-Raum auf der dritten Etage entfaltet. In seiner Arbeit erschafft er durch die Fragmentierung von Wort und Strich eigenständige Kunstwerke. Dieser einleitende Raum bereitet den Weg für den Parcours durch die folgenden Räume der Ausstellung. In der Großen Galerie wird das Ungleichgewicht diverser künstlerischer Positionen im Betriebssystem Kunst durch Sibylle Springer in ihrer Malerei Flowers of Ranking betont. Sie zeigt einen Stammbaum von Künstlerinnen, der darauf aufmerksam macht, dass auch im Jahr 2023 noch Ungleichheiten in der Kunstwelt bestehen. David Hepp hingegen spielt mit den Erwartungshaltungen und ästhetischen Materialkategorien. Seine bildhauerischen Arbeiten hinterfragen den Gebrauchswert von Kunst. Jens Weyers‘ Fotografien von Vorhängen in der Großen Galerie West analysieren die Geometrie und Stofflichkeit dieses eigentlichen Nebenschauplatzes.
Im Mittelsaal des ersten Obergeschosses integriert sich Christian Holtmann ironisch in die „Bremer Wand“. Mit seiner Arbeit „490 Euro mit Rahmen“ erweitert er diese um den Aspekt des Kommerzes. In Raum 5, der sich mit Handel und Kolonialismus auseinandersetzt, präsentiert Patrick Peljhan eine Videoarbeit, die die Geschichte einer Bohrmaschine aus Familienbesitz erzählt. Er reflektiert damit Fragen nach Migration, Hoffnung und Zukunft. Paul Ole Janns kommentiert auf ironische Weise Van Dycks Pfalzgrafen mit seiner Dogge. Diese Intervention stellt den menschlichen Umgang mit anderen Lebewesen humorvoll in Frage. Norman Sandler greift den Gedanken der Stilllebenmalerei in Raum 4 auf. Seine kleinen und detaillierten Zeichnungen von Alltäglichem unserer Gegenwart zeigen einen modernen Vergänglichkeitsmoment – eine subtile Erinnerung an die Flüchtigkeit des Lebens. Pio Rahner breitet sich fotografisch und installativ im Zero-Raum aus. Seine Werke erzählen von Hilfsmitteln wie Werkzeugen und Behältnissen, die den Menschen befähigen, sich selbst verwirklichen zu können. Durch die Verwendung dieser Alltagsgegenstände thematisiert er die menschliche Kreativität und die Fähigkeit zur Selbstentfaltung.
Im Raum von Nam June Paik zeigt Franziska von den Driesch zwei großformatige Fotografien, in denen sie die Architektur der Kunsthalle verfremdet und mit die Wahrnehmung des Raums spielt. Willehad Eilers‘ Ölmalerei im Battlefield-Raum beschäftigt sich mit dem Element der Unmöglichkeit der Umkehr. Der Künstler bietet den Betrachter*innen einen anthropologischen Blick auf die fehlerhaften Zustände des Menschen und regt zur Selbstreflexion an. Der große Oberlichtsaal, der den Expressionisten gewidmet ist, wird von Lisa Sinan Mrozinski installativ okkupiert. In dieser Intervention erforscht sie die Beziehung zwischen Architektur und Skulptur und schafft eine Interaktion zwischen Raum und Besucher*innen. Emese Kazár beschäftigt sich in Raum 21 mit dem Thema Mutterschaft. Ihre Darstellung eines eigenartig fremden Baby-Torsos zwischen der Moormadonna von Mackensen und Vogelers Bildnis seiner Frau mit Kind stellt die klassische, madonnenhafte Inszenierungen in Frage und konterkariert diese.
Cordula Priesers Arbeit im Wald-Raum regt zum Nachdenken über die Auswirkungen unseres Handelns auf die Natur und ihre Ressourcen an. Die fragil wirkende, zugleich aber wohl austarierte Arbeit erzählt von der Produktion und Verwertung des Materials Holz in industrialisierten Prozessen. Frauke Alina Becker erforscht ähnlich wie die impressionistischen Werke in Raum 14 den Eindruck, den unsere Welt auf uns macht. In ihren Werken aus Malerei, Keramik und Installation werden Textur und Form untersucht, um den vielschichtigen Eindrücken, die uns umgeben, Ausdruck zu verleihen. Amina Brotz‘ Intervention ist als temporäre Revision der eigenen Sehgewohnheiten gedacht. Durch das Umhängen eines Werks in Raum 12 innerhalb der Ausstellungsdauer schafft sie eine Leerstelle, die den Prozess des Verschwindens, Erscheinens und Befragens verstärkt.
Resonanz – Interventionen in die Sammlung verdeutlicht die vitalen künstlerischen Energien der Bremer Szene. Die Künstler*innen, die an dem Ausstellungsprojekt beteiligt sind, bestimmen, akzentuieren und bereichern mit und in ihren eigenen Werken verschiedene Facetten der Kunsthalle. Einzelne Werke der Sammlung, bestimmte Räume oder architektonische Details werden in den Interventionen mit dem neu Hinzugefügten und dem Vorhandenen in ein anderes Blickfeld gerückt. Die Ausstellung wird zu einem Forum der Begegnung und Kommunikation zwischen Kunst und Betrachter*innen.
Alexander Pütz (Kunsthalle Bremen)