Es fließt in Flüssen und strömt in Meeren, tropft als Regen vom Himmel, ist starr gefroren zu riesigen Eisblöcken oder als Dampfwolke ungreifbar. Es dient als Lebenselixier und ist zerstörerische Kraft, ist Inspirationsquelle, ist Informationsträger und Archiv und wird dennoch oft vom Menschen verschwendet oder verunreinigt.
Die diesjährige BBK Jahresausstellung Fließender Übergang vereint 18 künstlerische Arbeiten, die Wasser in all seinen Facetten und mit all seinen Interpretationsspielräumen beleuchten. Aus einer Vielzahl an Bewerbungen hat eine dreiköpfige Jury, bestehend aus Annette Hans (Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der GAK Gesellschaft für Aktuelle Kunst), Johann Büsen (Bremer Künstler) und Clara Kramer (Kuratorin der Ausstellung), die Künstler:innen ausgewählt.
Texte: Clara Kramer, Fotos: Ricardo Nunes
Saalpläne zum Download: Galerie im K:H Künstler:innenhaus, Galerie (im ehemaligen Restaurant „Am Deich“)
Atsushi Mannami
Der Künstler Atsushi Mannami interessiert sich für provisorische Strukturen im Stadtraum, alltägliche und leicht zu übersehende Erscheinungen und Objekte im Übergangszustand, wie beispielsweise Baustellen. Einzelne architektonische Elemente stellt er dabei nach, indem er alltägliche Materialien wie Verpackungsmaterialien und Industrieteile mit seinen selbstgefertigten kleinen Keramiken in modularen Kombinationen zusammenfügt. Die handgefertigten Keramikelemente erinnern in ihrer Form oft an Treppen oder Wände. So entstehen Miniaturvarianten von Architekturen, die die Funktion ihrer lebensgroßen Vorbilder ad absurdum führen.
Für seine Arbeit Wasserfall (2025) ließ sich Mannami von einer Japanischen Regenkette inspirieren. Diese führt das Regenwasser von der Regenrinne am unteren Ende des Daches, durch mehrere kleine trichterartige Gefäße, bis zum Boden. Die Gefäße sind mit etwas Abstand zwischen einander befestig, wie die Glieder einer Kette. Das Regenwasser läuft in das oberste Gefäß, dort durch ein kleines Loch in dessen Boden in das nächste Gefäß, bis zum Boden. In dem Moment wo das Wasser von einem Gefäß in das Nächste plätschert, wird es sichtbar und bildet kleine Wasserfälle.
Mannamis Regenkette aus handgefertigten Keramiken, Schrauben und Haken verweigert seine eigentliche Funktion. Den Ursprung der Regenkette bildet in Mannamis Version nicht der Ablauf der Regenrinne, sondern das unmittelbar aus der Wand ragende Rohr. Zusätzlich sind bilden die kleinen Blüten in Mannamis Regenkette keine aneinandergereiten Gefäße, sondern hängen mit ihrer Öffnung nach unten. So kann kein Wasser an der Regenkette herabfließen. Statt Wasser fließen Keramikblumen aus dem Ablussrohr heraus und bilden einen künstlichen temporären Wasserfall. Die Blüte und das Bild des Wasserfalls wecken die Assoziation von romantisierter Natur und stehen im Kontrast zur profanen Funktionalität der Regenkette und der Alltäglichkeit des Abwassers.
Sabine Schellhorn
Die Künstlerin Sabine Schellhorn zeichnet mit Flüssen. Im Treppenhaus des Künstler:innenhauses schlängelt sich eine schwarze Linie, ein filigraner Teppichschnitt, hinauf in den ersten Stock und in die Galerie hinein. Mal schlägt sie aus, bildet starke Kurven, teilt sich auf, fließt in verschiedene Richtungen weiter oder vereint sich wieder. Die Schlaufen, Schwünge und Seitenarme bilden einen Flusslauf. Einen Fluss, der so real nicht existiert. Sabine Schellhorn führt verschiedene Abschnitte unterschiedlicher Flussläufe zu einer Linie zusammen und entwickelt so raumgreifende, ortsspezifische Zeichnungen. Dabei achtet sie darauf, die Flüsse so nah an der Realität wie möglich abzubilden. Einzig die Größenverhältnisse der Flüsse gleicht Schellhorn so an, dass sich unterschiedlich große Flüsse miteinander kombinieren lassen. Welcher Fluss und welche Abschnitte miteinander in Beziehung gesetzt werden, entscheidet sie aufgrund von graphischen und ästhetischen Kriterien. Teilweise entstehen die Kombinationen aber auch ortspezifisch, dann orientiert sich Schellhorn an den Flüssen der Umgebung des Ausstellungsortes.
Für ihre Arbeit Fluss im Fluss im Künstler:innenhaus kombiniert sie die Flüsse Lielupe, Tiber und Jenissei.
In dieser Flussraumzeichnung war es Schellhorn besonders wichtig, Flüsse aus verschiedenen Regionen der Welt zu kombinieren. Unter grafischen Gesichtspunkten entschied sich die Künstlerin für bestimmte Flussschleifen und kreierte so eine auf das Treppenhaus zugeschnittene Flusszeichnung.
Ulrike Möhle
Auf einem metallenen Sockel befindet sich eine rechteckige Betonskulptur, dessen eine Ecke wie herausgeschnitten scheint. Dort gibt der Beton den Blick auf blau glasierte Keramik frei, deren eine Ecke ebenfalls wie herausgeschnitten scheint. Wie in einem Querschnitt werden die Schichtungen des Materials sichtbar. Zwischen den Beinen des Metallsockels befindet sich eine rechteckige flache „Pfütze“ aus Keramik, ebenfalls blau glasiert. Sie füllt perfekt die rechteckige Fläche auf dem Boden zwischen den Sockelbeinen aus. Beim genaueren Betrachten fällt auf, dass an der unteren Seite des Betons ebenfalls zwei Keramik-Elemente zu sehen sind – als würde die Keramik durch Öffnungen im Beton auf den Boden zwischen die Metallstäbe tropfen. Trotz ihrer geometrischen Form und der Festigkeit des Materials erschafft Ulrike Möhle in ihrer Arbeit Zwei XIII (2017) die Illusion des Fließens.
Zwei XIII ist Teil der Werkgruppe Zwei, in der Möhle ihre Skulpturen aus zwei ineinander verschränkten Elementen zusammensetzt. Neben dem Thema der Addition untersucht Möhle in dieser Arbeit auch das Zusammentreffen zweier Materialien, sowie deren Wirkung aufeinander. Sie schafft ein Spannungsfeld zwischen Flüssig und Fest, den strengen geometrischen Formen im Kontrast zur durchscheinenden und ungleichmäßigen Glasur der Keramik oder dem durch Luftlöcher zersetzten Beton.
Neben der Skulptur präsentiert Möhle einen Ausschnitt der Werkgruppe Paperworks. Möhle schichtet hier nicht Beton und Keramik, sondern mehrere Schichten Acryltusche. Inspiriert von der Transparenz des Wassers untersucht Möhle Transparenz, Opazität und Fluidität. Möhle erforscht in Transparenzen und Unschärfen 5–8 wie sich ein flüssiges Material schichten lässt und wie sehr sie das Fließen und die Materialeigenwilligkeit im Prozess leiten kann.
Veronika Dobers
Zentraler Bestandteil von Veronika Dobers Ausstellungsbeitrag ist die Entwicklung des Künstler:innenbuches Tropfen (2016), welches in Zusammenarbeit mit der japanischen Poetin Rika Eto entstand. Als Ausgangspunkt dienten ca. 40 Zeichnungen von Dobers. Tropfenformen fliegen durch Landschaften, werden getragen, begegnen Menschenfiguren, regnen im Inneren einer Art Tempel oder auf ein Gesicht nieder oder landen in einem Gewässer, das bis zum Horizont reicht. Aber auch andere wiederkehrende Formen wie Strohbündel oder Behausungen tauchen in den Zeichnungen auf. In einer Zeichnung steht das englische Wort „Rain“, also Regen. In mehreren Zeichnungen findet sich das japanische Schriftzeichen für Regen wieder, welches in den Zeichnungen an einen Tempel erinnert, in dem es regnet. Doch die Tropfenformen sind nicht bloß Regen, sondern entwickeln sich in Dobers Zeichnungen zu Wesen, die den Kreislauf des Wassers beschreiten und erleben.
Rika Eto verfasste zu diesen Zeichnungen einen japanischen Text. Wie eine Art schriftliche Illustration fand Eto Worte für die Bilder. In einem monatelangen Prozess, in dem einzelne Worte tagelang auf der Goldwaage lagen, um die richtige sinngemäße, wie poetische Übersetzung zu finden, gelang es Dobers mithilfe weiterer Kolleg:innen den japanischen Text ins Deutsche zu übertragen. Eto sprach kein Deutsch und Dobers kein Japanisch.
In der Ausstellung Fließender Übergang transformiert Dobers das Künstler:innenbuch in eine Video-Collage und präsentiert diese neben einer Auswahl der Zeichnungen, die Ausgangspunkt des Prozesses waren (Physikalische Phänomene). Die Videoarbeit zeigt Rika Eto, die im Rahmen einer öffentlichen Lesung den japanischen Text des Buches vorliest. Im Hintergrund befindet sich ein Lichtspiel, in dem Tropfen von oben nach unten wandern. In den Sprachpausen Etos erscheint der deutsche Text auf dem Bildschirm. Die einzelnen Zeichnungen werden eingeblendet. In der neuentstandenen Video-Collage entfaltet Dobers das Künstler:innenbuch.
Annemarie Strümpfler
Auf den drei Fotografien verschwimmen Blautöne ineinander und in ein tiefes Schwarz. Ein gelbgrünes oder beigefarbenes Gebilde mit unscharfen Konturen ragt in die Bildmitte einer der Fotografien. Auf einer anderen wirkt es wie besänftigt, schlummernd am unteren rechten Bildrand. Die dritte Fotografie ist fast ganz schwarz, in der Mitte befindet sich ein deutlicher Lichtreflex.
Annemarie Strümpfler verfolgt und untersucht die Wege des Lichts. Wo wandern die Strahlen der Sonne im Laufe eines Tages entlang? Was machen Licht und Zeit mit den Dingen in ihrer Umgebung? Als Werkzeug der Lichtbeobachtung dienten ihr selbstgebaute Lochkameraformate oder Orte, die sie zu begehbaren Raumkameras umfunktionierte. Die selbstgebauten Kameras platzierte sie in ihrer Umgebung, in der Stadt, aber auch in einem See oder Fluss fotografierte sie mit langer Belichtungszeit. So sammelte sie die Spuren, die das Licht auf den Filmen oder lichtempfindlichem Fotopapier hinterließ.
Unter Wasser reagierte nicht nur das Licht auf die Filme, sondern auch das Wasser selbst fand seinen Weg in die Dosenkameras und hinterließ seine Spuren auf dem Film. Die Darstellung des Realen, was sich unter der Wasseroberfläche befindet, verschwimmt mit den Spuren des Wassers auf dem Film. Die Grenzen zwischen dem von der Kamera Gesehenen und dem von der Kamera Erlebten lösen sich auf. Eigentlich auf der Suche nach den Spuren des Lichts, fängt Strümpfler auch die Spuren des Wassers ein. Die Fotografien ermöglichen einen Blick unter die Wasseroberfläche – ein Eintauchen, ohne nass zu werden.
Veronika Maier
Veronika Maiers Skulpturen, seien sie aus Keramik, Beton, Latex oder Naturmaterialien, beziehen sich oft auf den Raum, für den oder aus dem heraus sie entwickelt wurden. Sie greifen bestimmte Formen oder Farben, architektonische Bauweisen oder die Geschichte des Raumes auf. Wasser ist auf diese Weise schon für verschiedene Arbeiten Maiers zum Thema geworden. So auch für die beiden in der Ausstellung Fließender Übergang präsentierten Keramikarbeiten Auflaufend und Wattkönig (beide 2015). Die Arbeiten entstanden ursprünglich für eine Ausstellung im Schloss Ritzebüttel in Cuxhaven, dessen Nähe zum Meer Maier als Inspirationsquelle diente. Mit feinen, geschwungen und verworrenen Keramikschnüren formte die Künstlerin für ihre Arbeit Auflaufend eine wellenartige Struktur, die sich von ihrer schmalen unteren Kante zu einer breiteren Oberkante auffächert. In geschwungenen Wellen fließen die Keramikschnüre an der Wand und erinnern so an eine herannahende Welle am Strand.
Die Arbeit Wattkönig scheint aus einer endlosen Keramikschnur zu bestehen, die sich fast völlig ineinander verworren und verknotet hat. Der Titel Wattkönig eröffnet einen Assoziationsraum zum Wattenmeer und dem dort lebenden Wattwurm. Wie seine Wege im Schlamm des Watts oder die kleinen Häufchen Sand, die er am Ausgang seiner Tunnel hinterlässt, kräuselt und windet sich die Keramikschnur. Die Form der Arbeit wirkt auf den ersten Blick zufällig, ist jedoch bewusst gewählt. Sie ist der Form der Balken des Schloss Ritzebüttel nachempfunden.
In der Ausstellung Fließender Übergang lösen sich die Arbeiten von ihrem formgebenden Ort und tragen das (Watten-)Meer nach Bremen, ein Stück weiter ins Landesinnere.
Sulme & Jae-Nder Fluid
Mit Videoarbeiten und Installationen bearbeitet das Duo Sulme & Jae-Nder Fluid in der eigenen künstlerischen Auseinandersetzung Themen wie Queerness oder Migration. Dabei geht das Duo immer von der eigenen Erfahrung als queere Migrant:innen aus und versucht diese in einen größeren, teils geschichtlichen Kontext einzuarbeiten. Lassen sich in der Geschichte der Migration in Europa Parallelen zu den von den Künstler:innen in der Gegenwart durchlebten Erfahrungen mit der Migration von Südkorea nach Deutschland finden?
Diese Frage stellen sich Sulme & Jae-Nder Fluid auch in ihrer Arbeit Sink (2024). Die Holzkonstruktion ist dem Design des Dachs der Notunterkünfte Ballinstadt in Hamburg nachempfunden. Das Gebäude, das heute das Auswanderermuseum BallinStadt beherbergt, war damals ein Symbol der Hoffnung vieler Europäer:innen, die sich auf den Weg über den Atlantik machten. Das Duo dreht dieses Symbol der Hoffnung wortwörtlich um, sodass die Holzkonstruktion nicht mehr an ein Dach, sondern eher an ein Ausgussbecken erinnert. Die Innenseite der Holzkonstruktion ist mit Kopien von Dokumenten ausgekleidet. Es sind diverse Anträge, für Visa oder an deutsche Kulturinstitutionen, die die beiden Künstler:innen im Rahmen ihrer Migration nach Deutschland schreiben mussten. Das Becken wird regelmäßig mit etwas Wasser gefüllt, sodass sich die Dokumente an den Innenwänden langsam auflösen. Das Wasser lässt die Geschichte der Emigration von Europäer:innen im 19. Jahrhundert mit heutigen Migrationserfahrungen ineinanderfließen. Damals wie heute führen viele Routen von Migrant:innen über Wasser oder Meere. Sulme & Jae-Nder Fluid verweisen in ihrer Arbeit Sink aber nicht nur auf die Wasserwege von Migrant:innen, sondern begreifen auch die Migration selbst als Fließbewegung. Eine Fließbewegung, die Menschen von ihren Heimaten aus an die verschiedensten Orte der Welt führt und gleichzeitig auch die Identitäten ins Fließen bringt. Wie in der Installation lösen sich Träume und Hoffnungen der Migrant:innen auf, zerfließen langsam, versickern im Stapel der Bürokratie.
Hassan Sheidaei
Hassan Sheidaeis Soundinstallation dusche! (2025), setzt sich zusammen aus zu kleinen rechteckigen Formen gepressten Kleidungsstücken, die um einen Holzkasten gewickelt sind und einer Tonspur, in der verschiedene Stimmen von einer Flucht über Wasser mithilfe eines Bootes erzählen. Das Objekt hängt so weit unter der Decke, dass man problemlos darunter hindurchgehen kann. Beim Daruntergehen wird die Tonspur, die zuvor nur leise in den Raum gedrungen ist, deutlicher. Es sind abwechselnd verschiedene Stimmen zu hören, verschiedene Sprachen, eine Stimme erzählt andächtig auf Deutsch und auf Farsi, zwei weitere Stimmen singen einzelne Töne zwei verschiedener Gesangsstücke. Es entsteht keine vollständige Melodie, aber dennoch eine spürbare Musik. Die Aufnahme wird immer wieder durch lange Phasen der Stille durchbrochen.
Hier tröpfelt kein Wasser wie unter einer Dusche, sondern eine poetische Erzählung auf die Betrachtenden. Wie die Gedanken unter der Dusche, ist die poetische Erzählung in Sheidaeis Installation nicht linear. Sheidaei greift damit den Möglichkeitsraum der Dusche auf. Ein entrücktes Innehalten, das die Gedanken neu und anders fließen lässt. Sie wiederholen sich, sie sprudeln unkontrolliert, sie schwappen hin und her.
Hassan Sheidaei thematisiert in seiner Arbeit dusche! die komplexen Gefühle und Emotionen, die mit der Entscheidung einhergehen, die eigenen (Landes-)Grenzen zu überschreiten. dusche! lässt die Zuhörenden an Überlegungen zur eigenen Identität, Migration und der Suche nach einem besseren Leben teilhaben und eröffnet so einen intimen Raum der Reflexion. Welche politischen und gesellschaftlichen Strukturen bringen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen
Tine Pockels
Auf welchem Material Tine Pockels ihre Gemälde malt, ist nie Zufall. Es gibt immer einen Bezug zwischen dem Motiv und dem Malgrund. So auch bei ihrer Installation Fließende Übergänge (2024), für die Tine Pockels zwei Ölmalereien auf durchsichtigen Plastikfolien mit etwas Abstand voreinander gehängt hat. Auf einer der Folien ist ein Abflussrohr zu sehen, wie das eines Waschbeckens. Schauen Betrachtende nun durch die Folie hindurch oder ändern ihre Position, fällt der Blick auf die Schaumkronen eines Meeres.
Tine Pockels spielt mit Perspektive. Der Blick unter das Waschbecken, zum Abflussrohr, ist eine ungewohnte und dennoch alltägliche Perspektive, meist verbunden mit ungeliebten Haushaltsaufgaben oder sogar Ekel. Der Blick aufs offene Meer wiederum kann ein Sehnsuchtsmoment sein, eine entspannende Wirkung auf uns Menschen haben. Die durchsichtigen Plastikfolien spiegeln dabei zum einen die Eigenschaften einer glatten, durchsichtigen Wasseroberfläche, zum anderen steht das Plastik hier auch für das, was es ist: Plastik. Auf dem Meer sammeln sich riesige Inseln aus weggeworfenem Plastik, es wird an Strände gespült, verstopft die Mägen der im Meer lebenden Tiere oder wird für diese auf andere Weise zu gefährlichen Fallen.
Pockels thematisiert in ihrer Arbeit die vielfältigen Bedeutungen, die Wasser für uns Menschen hat. Sehnsuchtsort oder schmutziges Abwasser. Kostbares Gut oder achtlos durch Menschenhand verschmutztes Gewässer.
Jiawen Uffline
Nicht nur Wasserleitungen, Gefäße oder Körper können durch Öffnungen und poröse Stellen lecken, auch Software und unsere alltäglichen digitalen Kanäle haben poröse Stellen. In ihrer Videoarbeit let yourself leak a little (2024) untersucht die Künstlerin Lecks in der digitalen Welt. In dieser sind Daten- und Informationslecks allgegenwärtig, da die heutzutage alltäglich verwendeten Kommunikationsprotokolle das Durchsickern von Daten ermöglichen – sie lecken. Die Daten, die alle Menschen mehr oder weniger bewusst und mehr oder weniger freiwillig preisgeben, sei es bei der Nutzung des Internets oder im Alltag, wenn sie sich im öffentlichen Raum bewegen, sickern durch digitale Lecks. Sie werden von Unternehmen und Regierungen genutzt, um zum Beispiel Überwachung effizienter zu gestalten oder künstliche Intelligenz zu trainieren. Trotz ihrer Allgegenwärtigkeit ist das Leaken mit Scham besetzt und wird als illegal eingestuft. Die Künstlerin Jiawen Uffline nähert sich dem technologischen Leck als einer alternativen Vorstellung der derzeitigen soziologisch-technischen Realität. Auf der einen Seite sind Leaks ungewollte Sicherheitslücken. Auf der anderen Seite können sie gezielt genutzt werden, um die Öffentlichkeit mit bewusst geheim gehaltenen Informationen zu versorgen. Welche Daten sickern wohin? Lässt sich die Doppelmoral um die digitalen Lecks auflösen? Können die Lecks in Zeiten von Zensur als alternative Kommunikationsform genutzt werden? Jiawen Uffline eröffnet mit let yourself leak a little eine feministische Perspektive auf unsere digitale Kommunikationstechnik.
Pio Rahner
Pio Rahner kreiert fließende Übergänge, Uneindeutigkeiten zwischen Innen und Außen, zwischen Inszenierung und Zufälligkeit, zwischen fest und flüssig. Rahner präsentiert seine beiden Arbeiten in den Eingangsbereichen der Ausstellung. Neben dem Eingang im Mittelhaus, der zu den Räumen der Galerie führt, ist eine Fotografie auf einem Plattenwagen platziert. Im Eingang des Restaurants schmelzen zur Eröffnung der Ausstellung Fließender Übergang 11 Figuren aus Eis. Das Eis schmilzt während der Eröffnung drinnen, während die Fotografie draußen auf einem Rollwagen steht – fast so, als wäre sie gerade erst abgestellt worden, beim Aufbau auf der Laderampe vergessen. Die Arbeit befindet sich wie in einem Zwischenzustand kurz vor dem Ziel: den weißen Wänden des Ausstellungsraums. Die scheinbar provisorische Installation verweist auf die sonst recht unsichtbar ablaufende Arbeit des Ausstellungsaufbaus und verwischt die Grenzen zwischen Installationszeiten und Präsentation.
Bei den 11 Figuren handelt es sich um Abdrücke von Mülleimern aus verschiedenen Räumen des Künstler:innenhauses – den Ateliers, den Toiletten, der Holzwerkstatt, dem Büro des Vereins, des BBK oder der Grafiker:innengemeinschaft. Für Rahner sind die Mülleimer ein unterschätztes Kommunikationsmittel. Hier wandert alles hin, was für nicht gut erachtet wird, was fehlerhaft ist – Spuren eines Prozesses der Denkarbeit. Wenn der Behälter voll ist, wandert er nach draußen und kommuniziert so, ohne Absicht, etwas aus dem Inneren des Hauses nach draußen. Die Spuren der alltäglichen Nutzung der Mülleimer, welche sich im Gefrierprozess im Eis verfestigen, sind für den Künstler dabei ein interessantes Nebenprodukt. Worauf weisen sie hin? Eingefroren und gleichzeitig nach mehreren Stunden wieder verflüssigt, abgelaufen, zerronnen. Ein subtiler Blick ins Innere einer Kulturinstitution und hinter die Kulissen der Kunstproduktion.
Akkela Dienstbier
Auf Landkarten, die die Stadt Bremen und umzu abbilden, coloriert die Künstlerin Akkela Dienstbier Überschwemmungen und stickt naturgetreue Darstellungen von Pflanzen auf die Karten. Distel, Gänsedistel, Klee, Nachtschatten und Scharbockskraut würden im Falle einer Überflutung durch einen über die Ufer tretenden Fluss fortgespült werden. Gleichzeitig benötigen diese Pflanzen das Wasser auch in begrenzten Mengen zum Überleben. Wasser ist Lebenselixier und zerstörerische Kraft. Gerade für Bremen und seine Umgebung sind und werden Hochwasser und Überschwemmungen ein relevantes Thema. Nicht nur die von Dienstbier gestickten Pflanzen würden verschwinden, auch dicht bewohnte Gebiete Bremens, Häuser und Menschen werden unter den Überschwemmungen leiden.
Dienstbier schwingt mit ihren Arbeiten keinen erhobenen Zeigefinger, sondern eröffnet ein Gedankenspiel, ein sehr reales „Was wäre, wenn…“. Wie lässt sich mit Wasser umgehen, mit seiner zerstörerischen Kraft und seiner gleichzeitigen Notwendigkeit?
Akkela Dienstbier beschäftigt sich in ihren Arbeiten immer wieder mit der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Für die Künstlerin stehen sich hier keine zwei Entitäten gegenüber. Vielmehr sind Mensch und Natur miteinander verwoben, es gibt kein Agieren ohne gegenseitige Einflussnahme. Die Künstlerin verwendet in ihren Arbeiten häufig Materialien der Natur wie Äste, Pflanzensamen oder Blätter. Diese presst, trocknet, fotografiert, installiert oder sortiert Dienstbier und kombiniert sie teilweise mit menschengemachten Materialien wie Telefondrähten, goldenen Bilderrahmen oder in Form von Stickereien, mit Nadel und Faden.
So hebt sie die Eigenschaften der Materialien hervor und kreiert poetische feingliedrige Arbeiten.
Jana Piotrowski
Das Sediment oder der Bodensatz eines Flusses besteht aus kleinsten Sandteilchen, Schluff, Tonpartikeln oder abgestorbenen Pflanzenresten. Es schützt den Flussboden vor Erosionen und dient als Lebensraum für Bodenlebewesen. Ein gesunder Fluss- oder Uferboden ist wichtig für das Ökosystem des Flusses. Jana Piotrowski macht in ihrer Arbeit „Wasser Macht Uns Nass“ sichtbar, was beim oberflächlichen Blick auf den Fluss unsichtbar bleibt. In einer Winogradsky-Säule, einer Säule aus Plexiglas, hat sie Schlamm und Wasser der Weser entnommen und abgefüllt. Durch UV-Strahlung, also auch durch das Sonnenlicht, fangen in der Säule verschiedene Bakterien- und Algengemeinschaften an zu wachsen. Die Farbigkeit der Säule verändert sich über den Ausstellungszeitraum. Mag es zu Beginn der Ausstellung noch recht klar sein und sich das Sediment am Boden der Säule absetzen, so entstehen über die Zeit verschiedenfarbige Schichten. Die Höhe der der Säule (136cm) verweist auf die Anzahl der Platanen am Flussufer.
Die Säule beherbergt einen aus Porzellan gegossenen Platanensamen. Die stachelige Frucht sinkt in das Sediment ab und wird im Verlauf der Ausstellung mal mehr, mal weniger sichtbar sein, je nachdem, wie stark die Mikroorganismen das Geschehen der Säule beleben. Piotrowski verweist damit auf den Uferboden der kleinen Weser direkt vor den Fenstern des Künstler:innenhauses. Der von Platanen durchwurzelte Uferboden spielt eine wichtige Rolle für Mikroben, welche wiederum für die Wasserspeicherfähigkeit des Bodens von Bedeutung sind. Mit Blick auf den Hochwasserschutz für Bremen ist in Diskussion, die Platanen allerdings zukünftig durch eine Spundwand zu ersetzen, um das Über-die-Ufer-Treten des Flusses zu verhindern. Piotrowski untersucht mit ihrer Arbeit die wechselseitigen Beziehungen von Uferboden und Fluss und ermöglicht den Ausstellungsbesuchenden einen Blick unter die Wasseroberfläche
Nathalie Gebert
Mit ihrer Arbeit Anthofluid untersucht die Künstlerin Nathalie Gebert Wasser als Erinnerungs- oder Informationsträger. Mithilfe einer selbstgebauten Zeichenmaschine kreiert Gebert fluide Zeichnungen in aus Rotkohl gewonnenem Wasser. Die im Rotkohl enthaltenen Anthocyane, ein Pflanzenfarbstoff, der den Rotkohl lila färbt, können sich je nach pH-Wert pink oder grün verfärben. Gebert nutzt diese Eigenschaft für ihre fluiden Zeichnungen. Dafür wird das Rotkohlwasser in einen mit Metallstäben durchsetzen schmalen Wassertank gepumpt. Die Maschine steuert die einzelnen Metallstäbe an und setzt sie unter Strom. Der pH-Wert der Flüssigkeit verändert sich hierdurch punktuell und es entstehen pinke und grüne Verfärbungen um die Metallstäbe herum. Diese Verfärbungen steigen in der Flüssigkeit langsam auf, verschwimmen und verblassen allmählich wieder. So entstehen temporäre Zeichnungen, die sich schon im Prozess des Entstehens wieder verflüchtigen und überschreiben. Anthofluid setzt so Kontraste zwischen dem strikten und ordentlichen Design der Maschine und den organischen, flüssigen Zeichnungen. Gebert schafft eine Visualisierung für eine stille Form des Aufbegehrens gegen starre Systeme – ein Auflösen der Regeln innerhalb der Regeln. Zusätzlich reflektiert sie hydrofeministische Diskurse, indem sie die starre Binarität der Elektrizität in einen fluiden Raum überführt und so auch im übertragenden Sinn Grenzen verschwimmen lässt. Wie fluide ist das materielle Leben?
Marina Schulze
Die Oberflächenstruktur einer Matratze, die Lamellen eines Pilzes, die glitzernden lichtreflektierenden Wellen eines Wassers oder die Furchen einer Baumrinde. Die Malerin Marina Schulze beobachtet verschiedene Oberflächen genau, fängt sie in teils großformatigen Malereien ein oder bricht sie auf und überträgt sie in kleine Aquarelle. Die realistischen Darstellungen der verschiedenen Oberflächenstrukturen füllen meist das gesamte Bildformat, sodass Rückschlüsse auf das porträtierte Objekt teilweise unmöglich sind. Fast schon akribisch fängt Schulze die Farben und Farbnuancen der Oberflächen ein, die durch äußere Einflüsse, wie zum Beispiel Lichtverhältnisse und Schattenwurf beeinflusst werden. Die während der Malprozesse entstandenen Nebenprodukte, wie das Mischwasser, was je nach der zusammengesetzten Farbigkeit des porträtierten Objektes einen bestimmten Farbton annimmt, untersucht Schulze ebenfalls genau. Lässt sich in der Vermischung aller verwendeten Farben im Mischwasser die Farbessenz des Gegenstandes erkennen?
Für die Ausstellung Fließender Übergang hat sich Marina Schulze auf die Suche nach der Farbessenz des Weserwassers begeben. An 10 Tagen setzte sie sich an das Ufer der Kleinen Weser zwischen ihrem Atelier und dem Künstler:innenhaus Bremen und beobachtete das Wasser. Jede von ihr wahrgenommene Schattierung überträgt sie mittels Aquarellfarbe in kleine rechteckige Flächen in ein Raster. So entsteht eine Farbstudie mit über tausend Nuancen, die die Farben der Kleinen Weser widerspiegeln. Die in einer Session gesammelten Farben vermischt sie jeweils zu einer Farbe des Tages. Diese trägt sie in Streifen auf einem Papier zusammen. Alle Tagesfarben miteinander vermischt bilden die von Schulze herausgearbeitete Farbessenz der kleinen Weser.
Alberto Harres
Alberto Harres beforscht in seiner Arbeit TERRA INSCRITA (Portugiesisch für eingeschriebene/gezeichnete Erde/Landschaft) (2024), wie sich eine der größten Naturkatastrophen Brasiliens wie Narben in das Leben der Menschen vor Ort und in die Landschaft einschreibt. 2011 hatten starke Regenfälle in den Bergen nördlich von Rio de Janeiro mehrere Schlammlawinen und Überschwemmungen ausgelöst und so zu großer Zerstörung und vielen Toten geführt. Auch in der Heimatstadt des Künstlers Alberto Harres. In seiner Arbeit untersucht Harres dieses Ereignis und setzt dabei eigene wie kollektive menschliche Erfahrungen in Zusammenhang mit dem verwendeten Material oder der Landschaft.
Zentraler Bestandteil seiner Arbeit sind 5 kg Ton, die Harres aus dem Vale do Cuiabá, Petrópolis in Brasilien, einem der Orte, die von der Naturkatastrophe getroffen wurden, nach Bremen, Deutschland brachte. Dieser „migrantische“ Ton ist für Harres wie ein Zeuge des Ereignisses. Mit einer selbstgebauten Maschine lässt Harres in seiner Installation Linien in den Ton zeichnen. Es sind die Wasserwege des Flusses Cuiabá sowie die in Worte gefassten Erinnerungen, Gefühle oder Wünsche der damals betroffenen Menschen. In einer Art Gruppentherapie wurden diese Gefühle und Erinnerungen zu einer gemeinsamen Karte zusammengefügt.
Die Linien, die die Maschine in den Ton zeichnet, überschreiben sich im Laufe der Zeit, verändern sich oder verschwimmen, ähnlich wie auch Erinnerungen. Parallel bildet eine Projektion Satellitenbilder der Gegend ab, auf denen ebenfalls die Verläufe des Flusses sowie die Verortung der Erdrutsche zu sehen sind. Die Satellitenbilder stammen von Google Earth und wurden acht Monate nach der Naturkatastrophe, im September 2011, aufgenommen. Weitere Keramikplatten zeigen Ausschnitte aus der Berichterstattung zur Naturkatastrophe.
In Harres‘ Installation treten Material, Erinnerungen der Menschen und der Landschaft miteinander in einen Dialog. Welche Linien zeichnet ein solches traumatisches Ereignis in die Körper und Seelen derer, die es erlebt haben? Welche Spuren hinterlässt es im Material und in der Landschaft?
Behshad Tajammol
Die Künstlerin Behshad Tajammol nimmt soziopolitische Bewegungen als Ausgangspunkt für ihre Arbeiten. So auch in ihrer Video-Installation Waves of Dripping Water (2022), in der Tajammol kritisch hinterfragt, wessen Stimmen und Meinungen öffentlich und historisch Gehör finden und wessen Stimmen systematisch unterdrückt werden. Kann unsere Stimme unsere Wirkungsmacht in soziopolitischen Kontexten erweitern?
Waves of Dripping Water vereint verschiedene Stimmen, die Tajammol in Interviews mit Mitgliedern des NINA-Kollektives (fraueN IN Aktion), Hamburg aufgenommen hat. Sie setzt sie in Bezug zu im Internet gefundenen Videoaufnahmen feministischer Proteste und Auszügen eines Dokumentarfilms, der die Proteste iranischer Frauen am ersten Internationalen Frauentag nach der Islamischen Revolution zeigt (Year Zero (1979), Mouvement de Libération des Femmes (MLF)). Einzelne dieser Aufnahmen und Interviewszenen projizierte Tajammol auf die Wasseroberfläche ihrer Badewanne oder auf einen mit Wasser bespritzten Spiegel, um sie dann erneut abzufilmen. Dies dient der Verfremdung, um die Anonymität der Interviewpartner:innen zu wahren. Gleichzeitig dienen das Wasser und die Tropfen aber auch als Metapher. Ähnlich dem persischen Sprichwort قطره قطره جمع گردد عاقبت دریا شود )Tropfen für Tropfen, plötzlich wird ein Meer geformt), bilden die einzelnen Stimmen ein Meer mit ungeheurer Wirkkraft und stehen so für das Anschwellen der Protestbewegung. Die Inszenierung der Videoarbeit im Raum nimmt dieses Bild ebenfalls auf. Ein roter Fadenvorhang bildet einen Halbkreis um den Monitor, auf dem das Video abgespielt wird. Hier spiegelt sich erneut das Bild der vielen einzelnen Stimmen (Fäden), die sich vereint zu einer dichten Masse verbinden und ein Ganzes ergeben.