In ihrer Werkserie Mit Haut und Haaren nutzt I-Chieh Tsai ihren eigenen Körper als Träger und als Raum für Selbstportraits. Mit Hilfe der Technologie der 3D Modellierung fragmentiert, dekonstruiert und reorganisiert sie ihre Oberfläche und ihr Körpervolumen. Diese Körpererkundung, die sie größtenteils selbst nackt mit der Digitalkamera vorgenommen hat, dient der Darstellung und Sichtbarmachung von Weiblichkeit unter neuen Aspekten. „Der Körper ist immer ein großes Thema für eine Frau, die in einer patriarchalen Gesellschaft lebt. Körperscham, Körperformung. Wir sehen unseren Körper isoliert von uns wie ein Objekt.“

Um die genaue Position und Bewegung ihrer Körpers für dieses Projekt zu finden, hat I-Chieh Tsai Schlüsselwerke der Moderne von männlichen Künstlern, hier Marcel Duchamp und Pablo Picasso, in denen Frauen subjekthaft im Mittelpunkt stehen, benutzt.
Es handelt sich um Ikonen des Kubismus, die Wendepunkte in der Geschichte der Kunst eingeleitet haben und zählen zu den bekanntesten Kunstwerken des 20. Jahrhunderts. Oftmals dienten sie weiteren Künstler:innen zur künstlerischen Auseinandersetzung.

Im Video loop Examination Of The Self-portrait, Descending A Staircase bewegt sich I-Chieh Tsai so, als würde sie eine Treppe herabsteigen. Zusätzlich dekonstruierte, komprimierte Bewegungsmomente und Interruptionen wurden in den Film implantiert. Einige Details wirken wie eingefroren. Stockende Bewegungen, harte Filmschnitte, Strukturen wie Fäden oder Gespinst. Plötzliche Zooms aus dem Bild heraus oder tief ins Detail gehend. Variationen durch plötzliche Farbwechsel und sich verändernde Oberflächenstrukturen der Bildfläche.

Bei den Selbstportraits Red Scarf Held Up High und Cloth Hanging On The Left hat I-Chieh Tsai jeweils die Pose einer Frau aus dem Gemälde Les demoiselles d´ Avignon von Pablo Picasso aus dem Jahre 1907 imitiert. Innerhalb der Werkserie hat sie jede Pose der fünf Frauen nachgestellt. Durch ein Computerprogramm wurde die Oberfläche ihres Körpers in 2D dekonstruiert und in fetzenartige Strukturen zerlegt, die diese Oberfläche aus verschiedenen Winkeln wiedergeben. Hauptsächlich Haut ist zu sehen, die anderen Fragmente stammen von den Tüchern, die sie getragen hat. Für den dritten Digitalprint Descending A Staircase #2, war das Werk von Marcel Duchamp: Akt, eine Treppe hinabsteigend Nr. 2 von 1912 die Grundlage, genauso wie beim Video.
In den zweidimensionalen Drucken wird auch ein Bewegungsaspekt herausgearbeitet. Ausgehend von der Mitte, scheinen die einzelnen Teile des Selbstportraits nach außen an den Rand zu driften. Dies wird durch die Wahl der Größe der Ausschnitte noch betont.

Text: Matina Lohmüller

Fotos: Jens Weyers