Hassan Sheidaeis Videos und Objekte sind durchdrungen von einem tiefen humanistischen Grundverständnis. Auf der ersten Ebene durchaus farbenfroh und amüsant, stellt sich bei näherer inhaltlicher Beschäftigung oftmals eine Beklemmung bei den Betrachter:innen ein, denn Hassan Sheidaei thematisiert brisant-politische Themen, ohne allzu deutlich Stellung zu beziehen.

Das Video ist entstanden, als Hassan Sheidaei artist in residence in den Niederlanden in Marrum bei Leeuwarden war. Bei diesem Stipendium war er im Kopf mit allem beschäftigt: Politik, USA, Rußland, Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Er war da, aber irgendwie auch nicht und hatte andere Vorstellungen von Kunst als die anderen Teilnehmer:innen. Wie funktioniert die Welt jetzt weiter? Die Unruhe, die Zeitenwende, die schon sich lange angekündigt hat, ist nicht mehr zu leugnen. Und die Welt ist viel komplexer, als oftmals angenommen wird.
„Als ich Kind war, erzählte mir meine Mutter immer, dass ich die Schafe zählen soll, wenn ich nicht einschlafen konnte. Das hat tatsächlich eine Zeitlang gut funktioniert. Aber irgendwann haben die Schafe nicht mehr geholfen. Jetzt bin ich zurück, um die Schafe wachzuhalten. Vielleicht ist es besser, wenn wir zusammen wach bleiben. So bin ich wenigstens nicht mehr allein in der Nacht wach“.

In Marrum gibt es auf dem Deich eine große Schafherde und Hassan Sheidaei entschied sich, diese Schafe wach zu halten. Nicht nur durch Herumlaufen in der Herde, sondern auch mit dem Einsatz von Megaphonen. Anfangs war unklar, was hatte er den Schafen oder der Welt anzukündigen? Die Töne, die aus dem Gebinde der Megaphone vor der Projektionsfläche kommen, und die die Schafe wachhalten sollen, hat Hassan Sheidaei selbst komponiert: Glocken, monotone Geräusche, Nachhall und ein Lachen.
Dieses vielleicht herablassend wirkende Lachen kommt aus einem Statement von Jo Biden, direkt, als er nach Wladimir Putin gefragt wurde. Diese Tatsache gibt der Arbeit heute noch eine zusätzliche Bedeutung.
Die Megaphone können hin und her geschwungen werden, die Bewegung erinnert an eine Kinderwiege oder eine Schaukel. Aber eine Beruhigung ist nicht erzeugbar, die Bedrohung und das Durcheinander durch die verschiedenen Wechselwirkungen sind zu groß. Und die Ignoranz auch.

Text: Matina Lohmüller

Fotos: Jens Weyers